"Du kannst ihn fahren, als ob Du ihn hasst" - 60 Jahre Volvo Amazon
Veröffentlicht am 1.9.2016 von D. Helmling Noch keine Kommentare
In diesen Tagen wird der Volvo "Amazon", der eigentlich Volvo 121 hieß, bereits 60 Jahre alt - und ist immer noch der perfekte Einstiegsklassiker.
Uns Festland-Europäern wurde die "Amazone" mit jenen tugendhaften Schlagworten schmackhaft gemacht, auf die jeder Deutsche einfach total abfährt: "Qualität, Präzision, Maßarbeit." "Wer Volvo fährt, schätzt seinen Wert", hieß es beispielsweise im Prospekt der Frankfurter Hauptvertretung. Doch das Nordlicht konnte auch anders.
In den wilden USA nämlich, taucht der Volvo 121 (wie er eigentlich hieß) im Werbefernsehen als echter Schweden-Krawallo auf: Für die 60er Jahre unerhört schnelle Schnitte, davonsteibender Kiesel, eine schmatzende Kuh - und nach einigen Runden durchs Geräusch das schnarrende und Bourbon-schwangere Fazit: "You can drive a Volvo like you hate it" (Sie können ihn fahren, als ob Sie ihn hassen).
Der Satz stammt aus der Feder des legendären New Yorker Werbetexters Amil Gargano. Dieser half Volvo in den 1960er Jahren, in Amerika fußzufassen. Dabei inspirierte ihn eine Statistik, nach der Autos von Volvo eine Haltbarkeit von durchschnittlich immensen elf Jahren hatten - fast doppelt so lange wie amerikanische.
Die Qualität war sogar so gut, dass das Auto vermeintlich auch hielt, wenn man nicht gut mit ihm umging. "Schuld" daran waren ordentliche Verarbeitung und extra-dickes Qualitätsblech, das den exzellenten Ruf des "Schweden-Stahls" bis heute mitbegründete. Dazu galt das Nordlicht durch Features wie den serienmäßigen Anschnallgurt außerdem als sehr sicher.

Weder brot- noch brustlos
Der Amazon verdankt sein zeitlos schönes Kleid einem wahren Jung-Designer: Erst 26 Lenze zählte Jan Wilsgaard, als er dem P120 seine Form gab. So lautet übrigens der offizielle Name, denn ausgerechnet die deutsche Moped-Schmiede Kreidler hatte sich den Namen "Amazon" bereits in den meisten Vetriebs-Gebieten schützen lassen.
Auch wenn das Zweirad letztendlich "Amazone" hieß, konnte Volvo den Amazon nur in Skandinavien unter diesem Namen lancieren. Bis 1957 stand übrigens noch "Amason" auf dem Heckdeckel, in anderen Ländern der wesentlich schlichtere Name Volvo 121. Die heute seltenen Kombis hießen 221 und 222, die Sport-Modelle 122 und später P 120.

Strittig ist übrigens die Herkunft des Begriffs "Amazone", der die berühmten griechischen Kriegerinnen beschreibt. Diese legten weniger Wert auf den Beauty-Faktor und sollen sich selbst die rechte Brust amputiert haben, um ihr Handling mit dem Bogen zu verbessern (vgl. Griechisch ἀμαζός „brustlos“), andere Quellen leiten den Begriff vom griechischen a-maza (ἀμᾶζα „brotlos“) her.
Auf das Auto trifft allerdings keine der drei Bedeutungen so recht zu: Es sieht weder aus wie eine wilde Kriegerin, noch handelte es sich bei dem Modell um brotlose Kunst. Viel eher verkaufte es sich wie selbiges - und zwar geschnitten: Bis 1970 wurden 667.791 Einheiten abgesetzt, wovon ganze 60% in den Export gingen. Auch hatten die Modelle leistungsmäßig einiges an Holz vor der Hütte.

Volvo Amazon in Amerika und Hollywood
Wie bereits erwähnt, kam der Amazon, besonders in den flotten Sport-Varianten gut bei den Amerikanern an. Denn neben der 60-PS-starken Basis-Version kamen schon bald heiße Sport-Varianten mit Doppelvergaser, darunter der B20B-Motor mit 103 PS. Es waren sogar V8-Varianten im Gespräch, doch leider konnten sich die Konstrukteure letztendlich nicht einmal zu sechs Töpfen durchringen.
Es blieb bei für die 60er Jahre recht flotten Vierzylindern, die bei einigen Wettbewerben wie der Akropolis-Rallye 1965, punkten konnte. Dank zuschaltbarem Overdrive ließen sich die "großen" Modelle mit wenig Drehzahl und deshalb spritsparend über Highways und Gatas bewegen.

Wegen des großen Erfolgs in Übersee wurde im kanadischen Halifax 1963 eigens ein Werk errichtet. Außenpolitisch schlug sich der Schwede "drüben" ebenfalls gut: Nicht nur Robert Redford fuhr ihn im Watergate-Drama "Die Unbestechlichen", sondern auch Ex-Außenminister Colin Powell. Dieser bekam von Bill Clinton und Al Gore einen restaurierungsbedürftigen P120 zum Ruhestand.
Auch heute ist der Amazon ein beliebter und günstiger Einstiegs-Klassiker. Positive Aspekte sind die unverwüstlichen Motoren und die gute Ersatzteilsituation. Gute Exemplare am unteren Ende der PS-Skala starten schon unter 10.000 Euro.