Stammtischwissen: So funktionieren "Schnüffelventil" und Ventiltrieb
Veröffentlicht am 31.3.2016 von LexiCar Noch keine Kommentare
In den letzten 100 Jahren hat sich bei Aufbau von Verbrennungsmotoren einiges geändert. Das Prinzip des Viertakters blieb dabei allerdings immer gleich: Das Gemisch muss in die Brennräume – und nach der Verbrennung schnellstmöglich wieder raus. Doch wie funktionieren Seitenventiler, OHC-Motoren und Co.?
Obwohl Autos heute schon fast auf einen menschlichen Fahrer verzichten können und lästige Dinge, wie Staus und das Einparken schon völlig autonom für uns übernehmen, sieht es unter der Motorhaube vom Grundprinzip noch aus wie vor 100 Jahren. Beim Großteil der Autos auf unseren Straßen, die noch ohne Elektroantrieb unterwegs ist, sorgt eine gezielte Explosion im Zylinder dafür, dass sich der Kolben abwärts bewegt, wodurch die Bewegung der Kurbelwelle entsteht. Dabei muss immer sichergestellt werden, dass frisches Gemisch in den Zylinder einströmt und die Abgase den Brennraum verlassen können. Für diese Steuerung benötigt man Ventile.
Das Einlass-Ventil (r.) öffnet sich, wenn das Luft-Kraftstoff-Gemisch in den Zylinder einströmt und schließt sich, während der Kolben das Gas bei seiner Aufwärtsbewegung verdichtet. Nach der Verbrennung öffnet das Auslassventil (l.), damit die Abgase aus dem Brennraum gedrückt werden können. Die Ventile, die diese Vorgänge steuern, müssen sehr präzise mit der Kolben-Bewegung synchronisiert werden, da es sonst zur fatalen Kollision zwischen beiden Bauteilen kommen würde – nicht zuletzt weil die Ventile mehrmals pro Sekunde öffnen und schließen müssen. Um alle je gebauten Konstruktionen vorzustellen, bräuchte man den Umfang eines dicken Fachbuchs, weswegen im Folgenden nur die wichtigsten Stationen der Entwicklung angerissen werden sollen – genug, um am Stammtisch mitzureden.
Der Beginn der Steuerung – Das Schnüffelventil
Am Anfang des Automobilbaus wurden meist nur die Auslassventile mechanisch mit Hilfe einer Nockenwelle gesteuert. Bei den Einlassventilen machte man sich hingegen den Druck zu Nutze, den der Kolben bei seiner Abwärtsbewegung erzeugt. Das Schnüffelventil sitzt auf einer schwachen Feder, die für eine „automatische“ Öffnung sorgt, sobald der Kolben nach unten geht. Das stehende Auslassventil wurde mechanisch über eine Nockenwelle betätigt, da der Kolben die Abgas-Säule gegen das Ventil nach außen drücken muss, wodurch eine "atmosphärische Steuerung" unmöglich wird. Diese Art der Ventilsteuerung nennt sich das „De-Dion-Prinzip“ und kommt beispielsweise beim 1-PS-„Motorrad“ Peugeot Minerva, oder bei den ersten Motorrädern von Harley Davidson um das Jahr 1900 zum Einsatz.
Die Harley Davidson Modell 1 von 1905 ist auch ein "Schnüffler"
Das Schnüffelventil hat sich allerdings nicht durchgesetzt, da es nur niedrige Drehzahlen verträgt – bei schnellerer Rotation des Kolbens ist die Feder zu schwach, um das Ventil schnell genug zu schließen. Es kommt zudem zu Ventilüberschneidungen, wobei Auslass und Einlass gleichzeitig offen sind. Zuletzt ist auch der Druckverlust hinderlich: Dadurch, dass die einströmende Luft einen Teil seiner Energie benötigt, um das Ventil zu öffnen, ist der Durchsatz – und damit die Leistung – deutlich kleiner.
Die Weiterentwicklungen – IOC und Seitenventiler
Eine bessere Leistungsausbeute versprach der „wechselgesteuerte“ Motor, der auch als „i.o.e.“ („inlet over exhaust“) bezeichnet wird. Dabei werden sowohl Einlass-, als auch Auslassventil mechanisch gesteuert. Der Einlass sitzt dabei, wie es der Name bereits verrät, mit hängendem Ventil oben im Zylinderkopf, unter dem Einlass befindet sich unten ein stehendes Ventil zum Auspuff hin. Die Nockenwelle steuert dabei beide Ventile über Stoßstangen abwechselnd, weswegen man auch von "wechselgesteuerten" Motoren spricht.
IOE-Motoren gibt es natürlich auch mit Schnüffelventil - wie hier abgebildet
Das Obere über eine Stößelstange, das untere läuft direkt über einen Tassenstößel auf dem Nocken. Diese ersten Zweiventil-Motoren sprangen besser an und vertrugen hohe Drehzahlen wesentlich besser. So wurde die Bauart sowohl für Motorräder der 20er und 30er Jahre (Harley Davidson, Indian, Nimbus usw.), als auch im Fahrzeugbau genutzt. Rolls-Royce und Rover bauten noch bis in die 1960er Jahre IOE-Motoren, die auch den Vorteil haben, dass einteilige Zylinder verbaut werden können. Da der Ventiltrieb neben den Kolben „ausgelagert“ ist, ist ein Ventildeckel - und damit die Zylinderkopfdichtung - unnötig. Die negativen Eigenschaften der IOE-Motoren waren hoher Verbrauch durch den ungünstigen Brennraum (stark zerklüftet) und hoher Produktionsaufwand beim Fertigen der sog. „Sackzylinder“. Durch die langsame und rückstandsstarke Verbrennung konnte man auch nur vergleichsweise wenig Leistung generieren.
Der Seitenventiler
Beim Seitenventiler treibt die untenliegende Nockenwelle beide Ventile an, die hinter einander liegen (ein Kanal ist deshalb verdeckt)
Eine einfache Form des Zweiventilers ist die sogenannte „Flathead-Bauweise“, die sich heute noch bei Rasenmähern, Stromgeneratoren und einfach Motoren finden lässt, früher aber sehr oft in Fahrzeugen verbaut wurde. Die wichtigste Unterscheidung sind die „stehenden“ Ventile, die neben dem Kolben im Zylinderkopf stehen und mechanisch von unten betätigt werden. Der Zylinderkopfdeckel fällt dann, weil er „leer“ ist, dementsprechend flach aus. Bei niedrigen Drehzahlen hat ein Motor mit „SV“ (seitlichen Ventilen) dem Schnüffelventil gegenüber zwar Vorteile, jedoch ist auch hier die Form des Brennraums ungünstig und ebenfalls nur für niedrige Verdichtungen geeignet, was einen schlechteren Wirkungsgrad bedingt.
Einmal in "Action", einmal im ausgebauten Zustand. Rechts wird deutlich, wieso bei dieser Bauart nur eine unzureichende "Spülung" des Gemischs stattfindet
OHV – Der Weg zu den „hängenden“ Ventilen
Aus Kostengründen wurden auch viel später noch SV-Motoren gebaut, bei denen die Ventile neben dem Brennraum auf dem Kopf standen und direkt von der Nockenwelle unten angetrieben wurden. Doch im Laufe der Entwicklung wurden die Ventile später fast immer „hängend“ im Kopf verbaut (OHV – „Over Head Valves“), also direkt oberhalb des Kolbens. Schon der VW Käfer verfügt über einen OHV-Motor mit „untenliegender“ Nockenwelle (wobei diese beim Boxermotor eigentlich ja eher mittig neben der Kurbelwelle liegt) und „hängenden Ventilen“ (obwohl die Ventile genaugenommen auch waagrecht liegen und nicht hängen). Mit „hängend“ oder „untenliegend“ sind also nur grob die Bauarten und nicht deren physischer Zustand gemeint.
Mit den stehenden Ventilen im Zylinderkopf musste sich auch die Betätigung ändern: Die Bewegung der meist seitlich oder unten im Motorblock verbauten Nockenwelle musste mit Hilfe von Wellen, Ketten, Riemen, oder Zahnrädern nach oben gebracht und in die andere Richtung übersetzt werden.
Stößelstangen, Kipphebel und Königswelle
Ein einfacher Weg, um die Rotation der untenliegenden Nockenwelle an die Ventile weiterzugeben ist die Schubstange. Wie bei einer Dampflokomotive sind dabei die Räder über eine Strebe fest verbunden. Dieses System kommt beispielsweise bei der NSU Max zum Einsatz. Meist jedoch treibt eine untenliegende Nockenwelle mit ihren Nocken Stoßstangen an, die am Zylinderkopf an Kipphebeln oder Schlepphebeln enden. Diese drehen nun die Bewegungsrichtung um und drücken die Ventile über Stößel nach unten auf, danach drückt sie eine Ventilfeder wieder in die Ausgangsposition zurück. Daneben gibt es noch weitere Lösungen der Kraftübertragung. Dazu gehören die Königswelle, Stirnräder oder ein schlichter Zahnriemen, oder eine Steuerkette, die die Rotationen nach oben hin übertragen.
Königswelle und Schubstange sind Alternativen zu Steuerkette und Zahnriemen
Allerdings wirken alle letztgenannten immer auch eine eigene Nockenwelle, die über den obenliegenden Ventilen verbaut ist. Man spricht dabei von einer „obenliegenden Nockenwelle“, oder einem OHC- („Over Head Camshaft“), bzw. CIH- („Camshaft in Head“) Motor. Auch obenliegende Nockenwellen treiben die Ventile nie direkt an, sondern wirken auf einen Tassen- oder Hydrostößel, der die Querbeschleunigung der Nocke abfängt. Dabei gleichen die ölgefüllten Hydraulikstößel das Ventilspiel aus, während Ventiltriebe mit Tassenstößel noch alle paar Tausend Kilometer eingestellt werden müssen.
Obenliegende Nockenwelle(n)
Schon 1908 stellte der französische Autohersteller Clément-Bayard Vier- und Sechszylinder-Motoren mit obenliegenden Nockenwellen her. Auch kamen luftgekühlte OHC-Motoren des Werks im Luftschiffbau zum Einsatz. Im Jahr 1909 zog Deutz mit dem Prinz Heinrich Typ 9c nach. Allerdings spielten OH-Motoren vor dem zweiten Weltkrieg keine Rolle, da der Aufbau zu kompliziert und teuer ausfiel. Da auch die Materialien für Ventile und Ventilfedern nicht so Standfest waren wie heute, bestand immer die Gefahr, dass bei einem Bruch Teile von oben in den Zylinder fallen und dort kapitale Schäden anrichten konnten. Deshalb setzte man auf die bereits genannten stehenden Ventile neben den Zylindern.
Einzig Alfa Romeo stattete ihre Fahrzeuge weit früher mit sogar zwei obenliegenden Nockenwellen aus: Ab dem RL Normale von 1922 kamen in den meisten Motoren der Italiener zwei Nockenwellen pro Zylinderbank zum Einsatz. Bei den DOHC- („Doube Over Head Camshaft“) Motoren gibt es also je eine Nockenwelle für die Auslassventile und eine für die Einlassventile. So spricht man auch bei DOHC- Motoren mit beispielsweise acht Zylindern in V-Form von einer „doppelten Nockenwelle“, obwohl es in Wirklichkeit sogar vier Nockenwellen sind. Der Vorteil dieser Bauart sind die geringeren Massen, die bei der Ventilbetätigung durch Wegfall der Kipphebel beschleunigt werden müssen. Die größten Vorteile entfalten sich daher erst bei hohen Drehzahlen (bei Oldtimern ohne variabler Ventilsteuerung), wo der DOHC mehr Leistung bringt.
Sonderfall Desmodromik
Was versteht man unter Desmodromik? Die Spezial-Variante der obenliegenden Nockenwelle ist vor allem durch den italienischen Motorradhersteller Ducati bekannt. Die Idee dabei ist, fast ganz auf die Schwachstellen der Ventilfedern zu verzichten. Dadurch, dass die Ventile im Normalfall durch Federn geschlossen werden, unterliegen die Triebwerke einer natürlichen Grenzdrehzahl, ab der das Ventil durch die Trägheit der Feder nicht mehr schnell genug schließen kann. Man spricht dabei vom berühmten „Ventilflattern“. Um auf die Federn zu verzichten, besitzen Motoren mit Desmodromik nicht nur einen Öffnungshebel (oben), sondern auch einen Schließhebel (unten), der das Ventil zwangsweise wieder nach oben in den Sitzring drückt. Was sich einfach anhört ist in der Praxis sehr kompliziert: Zum einen muss dieser Mechanismus extrem genau eingestellt werden, damit er passt. Selbst geübte Mechaniker sind mit der Einstellung einer Desmodromik einige Stunden beschäftigt. Zum anderen ergeben sich konstruktionsbedingt Startprobleme bei kaltem Motor. Weil das Material im kalten Zustand nicht perfekt abdichtet, werden hierfür schwache Ventilfedern verwendet, die die Ventile in ihren Sitz drücken, um die nötige Kompression herzustellen. Eine gut eingestellte Desmodromik hat allerdings Vorteile gegenüber den herkömmlichen Ventilfedern.
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