Staatsbesuch aus der DDR – Honeckers Volvo 760 GLE
Veröffentlicht am 12.1.2016 von LexiCar Noch keine Kommentare
Es war schon zu DDR-Zeiten kein Geheimnis, dass die Staatsführung der „klassenlosen Gesellschaft“ lieber mit Automobilen aus dem Westen vorliebnahm. Die Kommunisten hatten, ausgenommen die Russen-Cadillacs „Tschaika“, einfach keine Kapazitäten für Luxus-Limousinen. Erich Honecker fuhr privat lieber Range Rover als Trabant und setzte auch beruflich mit großen Volvos auf kapitalistischen Schwedenstahl.
Das DDR-Motto „auferstanden aus Ruinen“ machte sich vor allem im Straßenbau bemerkbar. Viele Straßen außerhalb der Hauptstadt waren in desaströsem Zustand. Vielleicht gefiel dem Staatsführer Honecker deshalb das Geschenk von Citroen-Generaldirektor Raymond Ravenel umso besser: Dieser überließ dem Partei-Oberhaupt 1978 zwei nagelneue Citroen CX Prestige, deren hydropneumatische Federung den Schlaglöchern den Kampf ansagte. Doch Honecker fuhr auch aus einem zweiten Grund gerne Citroen: Die Franzosen waren eine der ansonsten spärlichen Quellen für Devisen. So bezog der Autobauer Gelenkwellen, Halbachsen und Federn sowie Zubehörteile aus Zwickau. Andere Hersteller wie beispielsweise Peugeot setzten Wagenheber aus der DDR ein. Obwohl das Verhältnis zwischen den beiden Staaten gut war, waren französische Automobile beinahe ausschließlich den Führungskräften vorbehalten. Im Jahr 1989 kamen lediglich zweitausend Citroen BX und später 5.500 GSA ins Land, die an Funktionäre, Politiker und regimetreue Künstler verteilt wurden. Neben den Franzosen unterhielten auch die Schweden automobile Beziehungen zur DDR.
Der Volvo als Staatslimousine der DDR
Die vom große Bruder Russland gelieferten, gewaltigen Limousinen von GAZ waren, wie eingangs erwähnt, mit Blattfedern und Starrachsen sowie Verbräuchen über 30 Liter eher die zweite Wahl für die Politiker der Republik. Besser gefiel der Obrikeit der westliche Automobilbau, allerdings waren Luxus-Marken wie Mercedes (z.B. der zeitgleich "Kohl-Benz" W126) und BMW natürlich tabu. So fiel die Wahl schnell auf schwedische Autos: Das Land war neutral, erreichbar und Sozialstaat klang ja auch ein bisschen nach Sozialismus. Obwohl die kleinen Zweitakter von Saab eigentlich gut zur DDR gepasst hätten, gab es bei Volvo die optimalen Modelle. Die Top-Limousinen 264 TE und später 760 GLE trugen mit ihrem dezent-rechtwinkligen Design mit wenigen Zierelementen nicht zu dick auf und verströmten sozialistische Biederkeit mit zeitgemäßer Technik.
Die Technik des 760 GLE
Seit dem Jahr 1982 löste der 760 den altehrwürdigen 264 TE („Top Executive“) ab. Die DDR-Führung bestellte etwa zehn Exemplare (264 TE etwa 30 Stück), die allerdings nun nicht mehr bei Bertone, sondern beim schwedischen Karosseriebauer Nilsson auf eine Länge von fast sechs Meter gestreched wurden. Es gab sogar extra-lange Kombi-Versionen sowie offene Landaulets.
Glücklicherweise besuchte Ost-Oldtimer-Spezialist Gerrit Crummenerl heute unser Büro in der Klassikstadt Frankfurt. Der Oldtimer-Händler und -Vermieter hat einen der raren 760 GLE in der geschlossenen Variante für einen Filmdreh im Gepäck. Das Auto könnte einigen Lesern bereits aus einer Folge des Motor-Magazins Grip bekannt sein (s. Video). Wir dürfen den Wagen freundlicherweise gründlich inspizieren und dort platznehmen, wo einst der erste Staatsmann der DDR gesessen hat: Hinten rechts.
Der erste Eindruck: Innen ist der DDR-760 ungewöhnlicherweise nicht beledert, sondern mit anzug-knitterfreundlichem Velours ausgestattet. Leder galt im alten Osten als billig, da die Autos der „Normalos“, wie Trabant und Wartburg, ab Werk mit Kunstleder ausgestattet wurden. Stoff hingegen war Luxus pur – auch hier haben sich die Zeiten geändert. Der gemütliche Sofa-Stoff macht aus dem Volvo die perfekte Wohnwand – nur statt Eiche rustikal gib es im Innenraum viel Hartplastik rustikal – Zeitgeist eben.
Für Übersetzer und weniger wichtige Leute gab es im Innenraum eine zusätzliche Sitzbank, die gegen die Fahrtrichtung schaut und wesentlich dünner gepolstert ist. Die normale Rückbank nimmt den Passagier auf wie man es von einer Couchgarnitur gewohnt ist. Plüschig und weich kann man die Beine weit ausstrecken, wohingegen die Kopffreiheit nicht besonders üppig ist.
Hinter diesen Rollos hat einst schon Erich Honecker gesessen. Die Kollegen gegenüber hatten es nicht so weich.
Weitere Sonderausstattung war: Eine spezielle Sound-Anlage (was auch immer für Musik hierüber abgespielt worden sein mag), elektrische Fensterheber für die hinteren Scheiben, aus denen es sich bei Paraden exzellent winken ließ und zwei Standarten-Halter über den Scheinwerfern - Hier wurden die DDR-Fahnen eingehängt. Überall dominieren rechte Winkel, Sachlichkeit und die Ausstrahlung einer fast unbegrenzten Haltbarkeit – Volvo eben.
Links: Klobige Armaturen der 80er. Rechts: Die Standartenhalter fürs DDR-Fähnchen
Der „Swedish Brick“, wie ihn die Amerikaner nennen, hat einen Euro-V6 verbaut, der 170 PS leistet. Durch die Länge, das hohe Gewicht und die Automatik ist der alte Schwede zwar wenig agil, dafür aber auf Autobahnen und Landstraßen flott zu bewegen.
Weiteres Extra: Leselampen rechts (vorne und hinten). Der Motor leistet 170 PS.
Wer sich selbst so ein Stück Geschichte zulegen möchte ist zu spät dran. Nach der Wende ersteigerte sie ein Geschäftsmann, der die Fahrzeuge für 250.000 DM an den Millionär Hilfried Schönberger weitergab. Sieben Stück davon wurden 2003 verkauft und befinden sich nun alle in fester Sammler-Hand. Der Wert der Fahrzeuge ist von damals 10.000 DM auf heute 30 – 40.000 Euro angestiegen. Allerdings wechseln die Autos so gut wie nie den Besitzer. Auch die früheren 264 TE und Citroen CX sind kaum zu bekommen. Nach dem Zusammenbruch des Regimes interessierte sich in Deutschland zunächst keiner für den alten DDR-Fuhrpark. Die meisten wurden in die Niederlande verkauft und verstreuten sich von da in alle Winde.
Fotos: "GAZ-13 Chaika, Berlin" by Bundesarchiv, Bild 183-J1113-0302-001 / CC-BY-SA. Licensed under CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons / Lexicar