Prototyp "Asso di Picche" - Wieso der Scirocco fast ein Audi geworden wäre
Veröffentlicht am 3.11.2016 von D. Helmling Noch keine Kommentare
Um ein Haar wäre der Kult-Sportwagen Scirocco nicht für VW, sondern im Zeichen der vier Ringe gebaut worden. Mit der Studie Audi "Asso di Picche" wollte Karmann die Konzernführung in Ingolstadt vom kleinen Sportler überzeugen. Doch es kam anders.
Vor kurzem hat das Heavy-Metall-Urgestein "Lemmy" Kilmister das Zeitliche gesegnet. Der Mann der Extreme widmete einst seinen bekanntesten Song der verruchtesten aller Spielkarten - dem Pik-Ass. Doch neben dem berühmten Whiskey-Vernichter aus Staffordshire hatte auch ein osnabrücker Karosseriebauer ein (Pik) Ass im Ärmel. Genauer gesagt den heute völlig vergessenen Audi "Asso di Picche".

Mit dem radikalen Flachmann wollte Karmann die Ingolstädter einst von der Idee eines kleinen viersitzigen Sportwagens für die Familie begeistern. Dafür hatte man bei Italdesign nicht ohne Hintergedanken auf eigene Rechnung einen biederen Audi 80 GT (B1) zum kantingen Brandstifter umgedengelt. Grund war das absehbare Ende von Käfer und Karmann-Ghia, die die Auftragsbücher der Karosserie-Schmiede bis dato gefüllt hatten. Nun fehlte es noch an einem veritablen Nachfolger.
Design und Technik des Audi "Asso di Picche"
Äußerlich erinnerten nur noch die Doppelscheinwerfer und die vier Ringe an das Spender-Auto mit 1.5-Liter-Motor. Mit knapp 100 PS aus dem Audi 80 wäre das leichte Coupé mit der außergewöhnlichen Fensterfront ausreichend motorisiert gewesen.

Auch im Innenraum gab es interessante Ansätze: So ließen sich die Türtaschen entnehmen und als Einkaufstaschen nutzen (ich bin gespannt, wann uns die Industrie das bei Neuwagen als bahnbrechendes Feature präsentieren wird). Ein bisschen seltsam ist der Spagat zwischen Sportcoupé und Einkaufswagen dann aber doch. Alles in allem war das dunkelrote Interieur optisch ein wenig arg zusammengewürfelt.

Kein Serienbau bei Audi
Doch obwohl Karmann mit dem Pik-Ass den größten Trumpf ausgespielt hatte, wurde das Projekt nicht im Zeichen der vier Ringe realisiert. Zwar empfand man das Konzept in der Konzernführung als formal gelungen, allerdings passte der Picche einfach nicht ins Profil, welches Anfang der 1970er Jahre (neben dem Audi 100 Coupé) statt Pik-Assen nur kreuzbrave Limousinen vorsah - und zwar in hohen Stückzahlen. Daneben war die von Karmann geplante Kleinserie des exzentrischen Sportwagen eine klassische Themaverfehlung. Auch wollte man wohl dem Konzern-Bruder VW mit dem Entwurf nicht in die Quere kommen - denn dieser plante selbst ein günstiges Coupé.
Das Design fand innerhalb des VAG-Konzerns allerdings anklang - zumal hier selbst bereits länger ein Sportcoupé auf Basis des Golf I geplant war- so dass der "Asso" schließlich stilistisches Vorbild für den neuen VW Scirocco wurde. Da der erfolgreiche Sportler später ebenfalls in mehreren Generationen in Osnabrück gebaut wurde, ging die Sache für Karmann also trotz der ersten Absage gut aus.

Und auch die Italiener profitierten von dem Entwurf: So floss laut Italdesign die klare Kante des Entwurfs auch in den späteren Lancia Delta mit ein.
Nachfolger auf BMW-Basis
Ab 1976 hieß es dann sogar "zwei Asse trumpfen auf". Denn jetzt entstand mit dem "Asso di Quadri" sogar ein etwas größerer Nachfolger der Studie - dieses Mal unter dem weiß-blauen Markensymbol. Das "diamantene" Ass nutzte dieses Mal die Basis des BMW E21.

Der kaum wiederzuerkennende 320i war ebenfalls deutlich in Form geklopft worden und verfügte, wie der ältere Bruder über einen integrierten Grill. Doch auch diese Flunder wurde nie in Serie gebaut. Stilistisch sind aber viele Elemente des Autos am späteren VW Scirocco II zu finden Dazu zählen die seitliche Fensterlinie und vor allem die Gestaltung des Hecks.

Und so wurde aus der Idee einer sportlichen Kleinserie von Audi unerwartet eine neue und bis heute höchst erfolgreiche Baureihe von VW.
Heute ist der "Asso" noch ab und zu auf Oldtimer-Messen und anderen Veranstaltungen zu sehen. Im Jahr 2009 konnte der rare Prototyp beispielsweise auf der "Schloss Bensberg Classic" bestaunt werden.