(Fast) Der Letzte seiner Art - Probefahrt im Alfa Romeo 2600 Berlina
Veröffentlicht am 1.12.2016 von Dominik Noch keine Kommentare
Wer in Deutschland einen Alfa Romeo 2600 Berlina kaufen möchte, hat derzeit genau zwei Optionen: Zum Verkauf stehen ein Concours-d'Elegance-Modell in Saarbrücken, oder ein charmanter Daily Driver in Frankfurt. Wir entschieden uns für letzteren und fuhren damit einen der seltensten Alfa Romeo der Welt.
Am 5. Juni 1968 stand die italienische Fussballwelt Kopf - oder besser gesagt "Zahl". Ist der Groschen bereits gefallen? Wenn nein, dann hier die Anekdote von Anfang an:
Im Halbfinale der Fussball-EM stehen sich in Neapel Italien und die Sowjets gegenüber. Letztere dabei eigentlich haushoch überlegen, nur das entscheidende Tor lässt bis zum Schluss auf sich warten. Da es auch nach der Verlängerung noch 0:0 steht und das Elfmeterschießen noch nicht "erfunden" ist, wird das Halbfinale (kein Witz) per Münzwurf entschieden.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit stehen sich die beiden Kapitäne der Mannschaften in der Kabine gegenüber. Die Entscheidung wird mit einer türkischen Spielmünze vom Unparteiischen Kurt Tschenscher ausgefochten. Diese zeigt weder Kopf noch Zahl, sondern stattdessen entweder einen Ball oder ein Tor. Nach einem Probewurf, den die Sowjets für sich entscheiden, wählt der italienische Kapitän das Tor - und sicherte sich so den Zufalls-Sieg und später sogar die Europameisterschaft.
Was das mit dem Alfa 2600 zu tun hat?
Exakt in diesem Jahr der Euphorie rollte auch jener Alfa Romeo 2600 Berlina vom Band, der sich aktuell im Angebot des Frankfurter Oldtimer-Handels Movisti befindet. Allerdings war die kantige Limousine gegeüber den Kickern damals eher glücklos: Nach nur 1.984 gebauten Exemplaren(!) in knapp sieben Jahren war Schluss. Heute gibt es in Deutschland wohl nicht einmal mehr zehn Vertreter der raren Oberklasse. Ein guter Zeitpunkt also, den seltenen Italiener unter die Lupe zu nehmen - erst recht wenn er fast vor der Haustüre steht.
Im Check - Der Alfa Romeo 2600 Berlina
Ortstermin: Die Sonne steht heute auf Sparflamme und streicht ihre letzten lauen Strahlen flach über den gepflasterten Parkplatz der Klassikstadt. Hier hält das einstige Flaggschiff der italienischen Automobilbaukunst seine chromschwangere Nase in den frostigen Herbstwind. Am Steuer sitzt Oldtimer-Händler Volker Janzen, in dessen Sortiment sich der Berlina derzeit befindet. Weil es trocken ist, durfte der rare Viertürer sein warmes Winterquartier für eine kleine Proberunde kurz verlassen.
Heute erinnert wettertechnisch nichts an Bella Italia, aber der Berlina ist in dieser Hinsicht Kummer gewohnt - handelt es sich doch um eine der raren deutschen Erstauslieferungen - bestellt, bezahlt und abgeholt in Bella Bielefeld. Schon zu Lebzeiten war die schwere Limousine selbst in Italien ein echter Exot. Zwar bot der große Alfa mit serienmäßigem Fünfgang-Handschaltungs-Getriebe, Scheibenbremsen und einem neuentwickelten Sechszylinder-Motor (Höchstgeschwindigkeit laut Schein: 175 Km/h) viel Auto fürs Geld, war aber mit über 30.000 DM Neupreis teurer als die prestigeträchtigere Konkurrenz aus Stuttgart.
Trotzdem fand das Auto in Deutschland noch den ein oder anderen Käufer: Der Vorbesitzer unseres Fotomodells kaufte das ehemalige Direktionsfahrzeug seinerzeit aus zweiter Hand und fuhr die schwere Limousine von 1988 bis heute als "Daily Driver", spendierte dem raren Italiener aber stets die Winterruhe in der trockenen Garage. Der Herbstspaziergang dürfte für das Auto also ein echtes Novum sein, wie die zahlreichen Abmeldungen im Brief belegen.
Der erste Eindruck
Dementsprechend gesund wirkt der Unterboden auch nach fast 50 Jahren noch. Positiv fällt hier ein frischer Auspuff auf, der sich in strahlendem Grau vom sauberen Untergeschoss abhebt, Schweller, Bleche und Profile wirken gesund. Fahrwerk und Federn wirken ebenfalls gebraucht, sind aber ordentlich beisammen.
Oberhalb der Gürtellinie ist das Gesamtpaket ebenfalls stimmig: Der Lack ist bereits der Zweite, schmückt das Kleid des Berlina aber ebenfalls schon seit vielen Jahren. Die Ausführung ist gelungen. Türkanten, Radläufe und Falze sehen ebenfalls sehr gut aus, Handlungsbedarf gibt es nur im unteren Bereich der Fahrertür, die eine Delle aufweist und an einer kleinen Stelle an der unteren Frontmaske wo ein wenig Rost hochpickelt. Hier dürfte allerdings das "kleine Programm" ausreichen.
Ein echter Underdog
Das Design des Berlina ist vornehm zurückhaltend, aber in großen Teilen typisch Alfa Romeo - nur wenige Besucher der Klassikstadt nehmen Notiz vom heimlichen Highlight, das zwischen den vielen Pretiosen auf den ersten Blick unscheinbar wirkt. Dabei ist die Gelegenheit, ein solches Auto aus der Nähe zu betrachten in Deutschland fast einzigartig.
Wer genauer hinschaut, erkennt die aufwendigen Details, die hier den Unterschied machen. Understatement statt Protz war die Devise - In diesem Sinne trägt der Alfa die wohl schicksten Radkappen seiner Zeit, Türpappen sind mit feinem Stoff bespannt und innen wie außen finden sich filigrane Zier-Elemente en masse. Die Heckflossen sind nur angedeutet, den riesigen Kofferraum dürften Mafia-Bosse hingegen geschätzt haben.
Wichtige Teile, die deshalb auf keinen Fall fehlen dürfen sind hier zum Glück intakt: jegliche Chromleisten, sowie Stoßstangen, Zierteile, Heckleuchten und Gummilippen sind auf Teilemärkten weder für Geld, noch gute Worte oder anzügliche Avancen aufzutreiben, weshalb der geneigte Berlina-Käufer unbedingt darauf achten sollte, diese bereits zu besitzen. Ein weiterer Pluspunkt in diesem Fall:
Rare Ersatzteile, sowie Stoßstangen und Reifen gibt's bei diesem Angebot zu den gesunden Originalen obendrauf. Wer einen Exoten fährt, muss frühzeitig anfangen zu jagen und sammeln! Hier gibt's sogar das originale Werkzeug-Set im Holzköfferchen. (Murphy's Law in Aktion: wenn man zwei Optionen hat, ein Werkzeugköfferchen zu öffnen, dann natürlich so, dass alles rausfällt.)
Auch beim Interieur macht der Berlina eine gute Figur. Nichts riecht muffig, der Stoff, bzw. das Teilleder ist weich und die Sitze zeittypisch von der vertrauten Gesäßhaptik eines Chippendale-Sofas.
Gut sieht es hingegen bei Ersatz für die Technik aus. Hier gibt es viele Baukasten-Teile, wozu auch der massige Alu-Sechszylinder gehört. Dieser wird von zwei Solex 32 PAIA4 Fallstromvergasern beatmet und kam in teilweise gleicher Form auch bei OSI, Sprint, Spider und SZ zum Einsatz. Der Doppelnocker leistet heute angemessene, damals üppige 130 PS und ist im Klang ein wenig rauher als erwartet.
Auffällig ist die leicht geneigte Einbauform, die von einigen alten Alfas bekannt ist. Trotz der Standzeit von ein paar Wochen erwacht das Aggregat sofort zum Leben und glänzt mit rundem Lauf und sauberem Standgas. Mit (belegten) 107.000 Kilometern auf der Uhr und einer Überholung im Jahr 2006 sollte hier nichts anbrennen.
Bei der Testrunde auf dem Hof wird auch deutlich, weshalb sich der betagte Vorbesitzer zum Verkauf entschlossen hat: Das italienische Dickschiff fordert einen beherzten Kapitän, der die nicht servo-unterstützte Lenkung im Griff hat. Rangieren gehört also nicht zu den Stärken des Alfas. Ansonsten reist es sich kommod im Berlina - innen ist es sehr leise und das Fahrwerk fühlt sich ähnlich an wie bei Heckflosse und Co. Auch an die Lenkradschaltung hat man sich schnell gewöhnt.
Nach dem kurzen Einblick kann ich stolzgeschwellter Brust vermelden: "Ick bin ein Berlina." Das Auto begeistert und ist technisch trotz seiner Seltenheit gut in den Griff zu bekommen. Da es sich um einen der letzten Vertreter handelt, wurde die prestigeträchtige Limousine übrigens nicht im Werk von Portello, sondern schon im wenige Kilometer entfernten Arese gefertigt - so oder so ist das Auto aber eine glatte zehn auf der Mailänder Scala.
Bleibt die Preisfrage: 34.950 Euro stehen zur Debatte. Dafür bekommt man einen gepflegten soliden Survivor mit einigen raren Ersatzteilen. Alles in allem ein fairer Deal, wenn man bedenkt, dass restaurierte Exemplare bereits für rund 50.000 Euro einen Käufer fanden.
Kontakt:
Volker Janzen – Vermittlung & Verkauf von Klassikern & Liebhaberfahrzeugen
In der Klassikstadt Frankfurt
Orber Strasse 4a · 60386 Frankfurt am Main
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