Notbremse kurz vor der Serienfertigung - wieso der Golf fast einen Mittelmotor bekommen hätte
Veröffentlicht am 14.11.2017 von Dominik Noch keine Kommentare
In sprichwörtlich letzter Minute vor dem Serienstart stoppte VW den potenziellen Käfer-Nachfolger EA 266. Und das, nachdem die Mittelmotor-Studie mit Entwicklungskosten von 400 Millionen DM fast fertig war.
Nach jahrzehntelangem Erfolg des Käfers stand VW Ende der 60er Jahre mit dem Rücken zur Wand: die Konkurrenz zog technisch und in puncto Zulassungszahlen am Konzern vorbei - der Käfer war vom Statussymbol zum Fortbewegungsmittel all derjenigen geworden, die sich kein "richtiges" Auto leisten konnten. Es war also absehbar, dass man das Modell zügig ersetzen musste. Doch wodurch?
Eisern hatte VW-Chef Nordhoff viele Jahre am Konzept des Käfers festgehalten - zu viele? Die meisten Prototypen der letzten Jahre waren nur arbeitsbeschaffende Maßnahmen für die Konstrukteure gewesen, ohne Aussicht auf Serienfertigung.
Im Jahr 1960 wäre es dann fast so weit gewesen: Mit dem Entwicklungsauftrag 97 stand eine neue Limousine in den Startlöchern, die mit der Ponton-Karosserie äußerlich nichts mehr mit dem Käfer gemein hatte, in der Seitenansicht aber umso mehr an den Typ 3 erinnerte (s. Bild). Natürlich hielt man auch in diesem Jahr noch am Heckmotor-Konzept fest.

Im Ärmelkanal versunken
Vom luftgekühlten 30-PS-Boxer entstand immerhin sogar eine Nullserie mit 200 Einheiten. Jedoch war das Auto in seiner Konstruktion und Optik einfach zu nahe am Typ 3 platziert, der Anfang der 70er Jahre nach mehr als zehn Jahren Bauzeit als ebenso veraltet galt wie der Käfer. Auch hier zog man im letzten Moment die Reißleine, obwohl man neben den produzierten Fahrzeugen bereits fahrfertige Prototypen für Variant, Limousine und Cabriolet gefertigt hatte.

Ganz verloren war der Entwurf allerdings nicht: Obwohl es das Schicksal nicht gut mit dem Auto meinte und das Schiff mit den Produktionswerkzeugen auf dem Weg nach Brasilien im Ärmelkanal versank, ging der EA97 dort nach der Bergung des Wracks in Serie. Unter dem Namen Brasilia wurde das Auto dort immerhin bis 1982 gebaut.
EA 266 - Der Golf mit Mittelmotor
Noch knapper wurde es für den nächsten Versuchsträger. Auf der Suche nach einer kompakten Limousine, die den Käfer zwischen Passat und Polo beerben sollte, entwickelten Porsche-Ingenieure im Auftrag für Kurt Lotz für angeblich 400 Millionen DM den Prototypen 266.

Die besonderheit war dabei die Konstruktion einer Plattform mit unterflurig verbautem Mittelmotor. Die Passagiere saßen dabei direkt über dem flachen Boxermotor, während vorne und hinten recht viel Platz für Gepäck blieb (s. Skizze).

Geplant waren eine 2- bzw. 4-türige Limousine, Coupé, Roadster und sogar ein Kleinbus wären möglich gewesen, wurden aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Dabei sollten vier verschiedene Motoren zum Einsatz kommen - vom 1-Liter-Dreizylinder für den Zweitürer, bis zum 1.6-Liter-Aggregat mit 105 PS. Bis auf den Dreizylinder wurden alle drei Motoren auch testweise gebaut.

Bevor die selbsttragende Karosserie fertig war, experimentierten die Ingenieure mit einem Opel Kadett Kombi, dem der Unterflur-Boxer zu Testzwecken mittschiffs eingepflanzt worden war.

Mit einem Leergewicht von nur 785 Kilogramm waren mit dem 1.6-Liter Motor bereits interessante Fahrleistungen abrufbar. Allerdings soll das Fahrzeug im Grenzbereich auf nasser Fahrbahn aufgrund der Gewichtsverteilung zum plötzlichen Ausbrechen geneigt haben.

Viel schlimmer aber war aber die Wartung des versteckt liegenden Triebwerks. Allein der Öl-Peilstab musste mehr als einen Meter lang sein. Arbeiten am Motor wurden durch die beengte Einbauposition extrem erschwert. Da schlecht zugängliche Motoren in der Regel auch seltener gewartet werden (wie beispielsweise bei Matra), hätte VW seinen Ruf der Zuverlässigkeit aufs Spiel gesetzt. Dazu explodierten die Fertigungskosten, so dass der Mittelmotor-Golf bei einem Kaufpreis von über 5.000 DM gelandet wäre.

Baustopp 1972
Und so entschied man sich dazu, das Projekt kurz vor der Einführung noch zu stoppen, obwohl die Pläne eigentlich bereits als beschlossen galten. Obwohl die Raumnutzung im Kleinwagen sehr gut war, war das Konzept insgesamt nicht ausgereift genug. Am meisten machten sich Lärm im Innenraum und das Wartungsproblem am Motor dabei bemerkbar. Dazu kam das heikle Fahrverhalten und der allgemeine Trend zu frontgetriebenen Kleinwagen, bei denen der Motor vorne saß.
Und so gingen rund 50 fertiggestellte Fahrzeuge und 100 Motoren in die Presse - bzw. wurde martialisch mithilfe eines Leopard-Panzers lagergünstig verkleinert. Ein Exemplar überlebte jedoch bis heute und befindet sich in der Werkssammlung von VW. Alles in allem kann man die Entscheidung schlussendlich gutheißen - denn mit dem EA266 wäre der Golf vermutlich nie zu dem geworden, was er heute noch ist.
