LexiCar goes Rallye - Übersteht ein Audi für 370 Euro 4000 Kilometer?
Veröffentlicht am 7.6.2016 von D. Helmling Noch keine Kommentare
Für diesen Juli haben wir uns einer besonderen Challenge gestellt: Für die Rallye München-Barcelona galt es ein Auto zu finden, das rund 4.000 Kilometer Schotterpisten, Alpenpässe und Küstenstraßen übersteht - und das bei einem Kaufpreis von maximal 500,- Euro.
Es ist ein Abenteuer, dem sich alle Autoverrückte einmal im Leben stellen sollten: Eine Rallye quer durch Europa im maximal preisgünstigen fahrbaren Untersatz, bei der es gilt, das betagte Gefährt in bester Top-Gear-Manier irgendwie am Laufen zu halten.
Hierfür haben wir uns dieses Jahr die Rallye München-Barcelona "Off The Beaten Track" ausgesucht. Die Regeln: Es geht etwa 4.000 Kilometer über steile Bergpässe, Wüstenetappen und herrliche Küstenstraßen - quasi im großen Bogen den maximalen Umweg zwischen München und Barcelona. Die Autos der Teilnehmer dürfen dabei in der Anschaffung höchstens 500,- Euro gekostet haben (einen Wert, den wir später unglaublicherweise sogar noch weit unterbieten sollten).
Dabei beginnt die eigentliche Challenge schon lange vor dem Rennen. Denn es gilt, einen möglichst günstigen Wagen zu finden, der für die Zeit der Rallye noch die gültige HU besitzt. Nach dem Kauf muss das Auto dann noch für die Gelände-Tortour fitgeschraubt werden. Deshalb begann unsere Suche zunächst mit einem Brainstorming und Recherche in Online-Foren und Facebook-Gruppen zu Autos der Kategorie gut & günstig. Schnell wurde klar, dass wir nicht wählerisch sein würden, allerdings galt aus Gründen des Komforts der Leitsatz "bloß kein Kleinwagen".
Ein Auto mit gültiger HU für unter 500 Euro?
Schon vor der Nennbestätigung herrschte in der Redaktion große Vorfreude - denn wohl nichts bringt das Blut eines Autobilisten so in Wallung, wie die Aussicht, für wenig Cash ein sinnloses Auto zu kaufen. Der Urmännliche Jagd-Trieb war geweckt: Leidenschaftlich wurde über die Vorzüge von verzinkten Typ44 und anspruchslosen W124 diskutiert, von seidigen E39-Sechszylindern geschwärmt und in Erinnerungen an günstige Jugend-Autos geschwelgt. Durch überquellende Fahrzeugbörsen beschwingt, klickten wir uns durch die dicksten Rest-TÜV-Schleudern wie moderne Kinder durch den digitalen Bonbon-Laden.
Vor dem inneren Auge sahen wir uns mit Klimaanlage, leichter Klaviermusik aus der Tonkonserve und mindestens sechs Töpfen über die andorianische Prärie gleiten, denn im Angebot fanden sich überraschend viele ehemalige Luxus-Limousinen mit massig Wartungsstau, die ihr Gnadenbenzin auf dem Hof windiger Händler bekamen. Doch schließlich stoplerten wir über ein Angebot, das so gut war, dass wir sogar auf einige Zylinder und die überschätzte Kaltluft aus dem Gebläse verzichteten.
Der Audi 100 überzeugt durch raschen Preisverfall
Schon seit ein paar Tagen erregte nämlich ein besonderes Inserat unsere Aufmerksamkeit: Ein schwarzer Audi 100 2.0E mit ca. 160.000 Kilometern auf der Uhr und acht Monaten "Resttüv". Standort wenige Minuten von der Klassikstadt entfernt - Verhandlungsbasis 750,- Euro.
Der Audi 100 war das letzte Auto aus Ingolstadt, das nach der alten Nomenklatur benannt wurde, auch wenn er mit der runden und modernen Optik als erster nicht mehr vom "alten Schlag" gezeichnet war. Ab 1994 hießen die gehobenen Mittelklasse-Limousinen, deren Wurzeln bereits im Jahr 1968 liegen, dann wie der Rest einfach "A6".
Lange gab es den 100er noch mit den seidigen und starken 5-Zylindern aus dem berühmten Vorgänger von der Skisprungschanze (Typ 44) zu kaufen. Wer es exklusiver mochte, gönnte sich den neu entwickelten und lang ersehnten 2.8-Liter V6, oder den mit 150 PS ebenfalls durchzugsstarken 2.6E. Endlich konnte man auch zylindermäßig bei den großen Mittelklassen mitspielen! Das Design war markant und ließ mit seiner leichten Aggressivität seinen Vorgänger wie auch die zeitgenössischen Konkurrenten W124 und E39 wortwörtlich ziemlich alt aussehen. Auch innen war man den Mitbewerbern überlegen: Der 100er bot vorne und im Fond Platz ohne Ende, im Gepäckabteil ist zudem bereits bei der Limousine massig Raum.
Trotz Premium-Avancen war der C4 auch weiterhin mit vier Töpfen unter der Haube zu haben: Beim Antrieb backt der Zweiliter-Einspritzer der Motorkennung ABK mit immerhin 115 munteren Pferdestärken an der Vorderachse etwas kleinere Brötchen. Parallel gab es das Aggregat auch im Golf und im Audi 80, was die Ersatzteile auch heute noch sehr erschwinglich macht.
Genau diesen Motor mit der markanten riesigen Schwungmasse hatte jenes offerierte Exemplar unter der Haube. Zwar ist das Aggregat in Puncto Fahrspaß sicher nicht die erste Wahl, dafür aber günstig in Unterhalt und Spritverbrauch.

Im kurzen Vorab-Gespräch mit dem Verkäufer am Telefon wurden zwei Punkte deutlich: Der Audi hatte erstens: mindestens seit dem Prager Fenstersturz keine nennenswerte Pflege mehr erhalten, war aber zweitens angemeldet, fahrbereit und im Preis durch einen sehr baldigen Auslandsaufenthalt des Besitzers stark verhandelbar. Noch am Telefon fiel das Angebot auf spielregelkonforme 500,- Euro.

Schon einen Tag später kommt es also zum Ortstermin. Der Audi steht nicht abgeschlossen vor einem Mehrfamilienhaus bei Darmstadt. Der erste Eindruck ist ein wenig ernüchternd: Auf der Fahrerseite hat der Gehilfe des Stifts des Azubis mit Spachtelmasse experimentiert. Die zurückgebliebenen kruden Kraterlandschaften erinnern an die verödeten Böden ausgetrockneter Salzseen.
Rundum gammelt es trotz der legendären Verzinkung an allen Falzen und Kanten, die wohl mal wegen eines Remplers übergetüncht worden waren. Natürlich lässt sich bei diesem Einstiegspreis aber eigentlich auch nichts anderes erwarten. Trügerisch sind die Bilder in Inseraten ja irgendwie immer und uns war bewusst, dass man mit einem Auto für fünf große Scheine nicht einmal im Sudan einen Concours d'Elegance gewinnt. Der Himmel hängt innen traurig herunter und die Reifen sind wie die Musik der kalifornischen Supergroup Fantômas: total abgefahren. Vorne, so gesteht der Besitzer, wurde mal ein Zaun mitgenommen, was man anhand der vertikalen Kratzer-Armada über die ganze Haube hinweg noch gut nachvollziehen kann. Armer Zaun... Armer Audi.
Dazu kommt ein Aspekt, den ich privat immer wieder sehr interessant finde: Schon der frühere Vorbesitzer vor dem wirklich netten Herren, von dem wir das Auto abkauften, investierte sein sauer-verdientes Geld nicht etwa in frisches Öl oder Bremsbeläge, sondern in viel "sinnvollere" Dinge, wie den Fake-Quattro-Schriftzug (beim 2.0 E !?) und einen nachgerüsteten Schalter für die (natürlich nicht vorhandene) Differentialsperre. Hätte man sich schon damals die Mühe erspart, einen völlig funktionslosen Schalter in die Mittelkonsole einzubauen und stattdessen mal lieber neue Bremsflüssigkeit eingefüllt, oder das ein oder andere Kabel neu isoliert...
Doch der Audi mit dem Zweiliter-Vierzylinder kommt aus einer Ära, in der man die Autos aus Ingolstadt selbst mit roher Gewalt nur schwer kaputt bekam. Auf der Habenseite steht ein Motor mit sauberem Lauf, ein gutes Getriebe und funktionierende Bremsen. Dazu gibt es ein elektrisches Schiebedach, das zwar mit einem Schalter bedient wird, der nur vom Stoff des labbrigen Himmels leidlich an seiner Stelle gehalten wird, jedoch tadellos funktioniert.

Innen gibt es außerdem feines Wurzelholzimitat, das allerdings von forschen Fingernägeln ziemlich verknibbelt ist und eine helle Innenausstattung, die erstaunlich gut erhalten ist, aber warscheinlich genau so viele Keime enthält wie die Polster eines jener rot beleuchteten Wohnmobile, die man ab und zu auf Waldparkplätzen an Bundesstraßen sieht. Das Interieur ist mit dem langen geschwungenen Armaturenbrett sowieso überaus gefällig. Leider hat der Erstbesitzer sein Häkchen nicht bei den chicken Zusatzinstrumenten gesetzt, weswegen dort nur eine unergonomische Ablage klafft.
Auf der Probefahrt gibt es gleich noch ein paar Punkte für die To-Do-Liste: Das Auto geht immer exakt einmal aus, wenn es im kalten Zustand gestartet wurde (bei VAG-Modellen gerät hier gleich die Drosseklappe in den Fokus des Verdachts) und ein Spurstangenkopf ist zu erneuern, was wir an einer leicht schlabbrigen Lenkung und rubbelnden Bremsen feststellen. Ansonsten weint der Motor am oberen Kühlwasserflansch ein paar bittere Tränen und die Halter am Endtopf haben sich sprichwörtlich verkrümelt.

Da wir mit einem bunten Blumenstrauß an Mängeln und dem Druck des Verkäufers (Abflug in zwei Tagen) eine gute Verhandlungsposition haben, sinkt der Preis auf exakt 370,- Euro. Und so geht es direkt auf eigener Achse die ersten 30 Kilometer zur Klassikstadt, wobei sich gleich noch weiterer ungeahnter Luxus offenbahrt: Das Radio geht sogar und in der CD-Lade (ohne Antishock) befindet sich sogar noch ein Tonträger des frühen 00er-Jahre-Hip-Hopers Afrob. In der Ablage der Fahrertür gibt es zusätzlich ein relativ lange abgelaufenes Kondom. (Ist die unbenutzte Lümmeltüte vielleicht ein Hinweis darauf, dass der große Ingolstädter heute bei der Damenwelt nicht mehr so gefragt ist?)
In den nächsten Wochen bis zum Start der Rallye Mitte Juli werden wir den Audi noch entsprechend auf die Fahrt vorbereiten, warten und in unserem Rallye-Blog auf LexiCar davon berichten.
Fotos: Pressebilder Typ 44 und C4: Audi