Für eine Hand voll Gummi - Die vergessene Stadt Fordlandia
Veröffentlicht am 8.4.2015 von LexiCar Noch keine Kommentare
Mitten im Dschungel des Amazonas rosten die Relikte eines fast vergessenen Kapitels des Autobauers Ford ihrem Ende entgegen. Es sind die Reste einer Stadt, mit der Henry Ford die Wildnis besiegen und die Bewohner nach amerikanischem Maße zivilisieren wollte. Die Geschichte eines grandiosen Fehlschlags.
Entgegen vieler Meldungen ist Fordlandia heute keine Geisterstadt. Etwa 2000 Menschen sollen noch immer auf dem abgeschiedenen Gelände leben, das einst als florierendes Handelszentrum geplant war. Doch die gewaltigen Fabriken von einst sind heute verfallen, trotz Investitionen in Millionenhöhe, wurde kein einziges Stück Gummi aus Fordlandia je in irgendeinem Auto verbaut.
Rückblick: Am Rio Tapajós, einem Nebenfluss des Amazonas, scheinen die Gegebenheiten perfekt, um eine gigantische Plantage der dort heimischen Riesengummibäume anzulegen, um den gestiegenen Bedarf an Fußmatten, Scheibenwischern und Autoreifen zu decken. Henry Ford sichert sich für den vergleichsweise geringen Betrag von 125.000 Dollar ein gewaltiges Areal von mehr als 10.000 Quadratkilometern. Hierhin will Ford eine Stadt nach amerikanischen Maßstäben verpflanzen – gepflegte Reihenhäuser mit Strom und Wasserversorgung, Golfplätze und Arbeit im Takt der Stechuhr. Auch Gummibäume sollen zu zehntausenden gepflanzt werden. Hierfür muss der Urwald schnellstmöglich verschwinden.
Mit der Brechstange
Da die Brandrodung des Areals in der Regenzeit zuerst nicht funktionierte, goss man gewaltige Mengen Kerosin auf die Pflanzen des Regenwaldes. Hunderte Hektar Land brannten wochenlang, die Einwohner waren geschockt. Auch der Rest der Bauarbeiten muss ähnlich schwierig verlaufen sein wie im berühmten Film Fitzcarraldo, in dem Klaus Kinsky versucht, im Urwald eine Oper zu errichten. Die Schiffe mit dem Baugerät steckten monatelang fest, weil der Fluß zu wenig Wasser führte. Es fehlte an schwerem Gerät und Baustoffen.
Auch nach dem Eintreffen der Schiffe wurde es nicht besser: Die Bauarbeiter erkrankten trotz des kostenlosen Krankenhauses, oft an Malaria, wurden von Millionen von Mücken und Fliegen und Skorpionen heimgesucht, oder von Schlangen gebissen. Die Gesunden schwitzten nachts in ihren neuen asbest-gedämmten Häusern, die die Hitze speicherten wie Speckstein, die Kranken füllten bald zu hunderten den Friedhof der Stadt.
Auch nach Fertigstellung der Häuser und Fabriken hörten die Probleme nicht auf: Die Dschungelbewohner wollten sich nicht mit der Stechuhr, dem Ernährungsplan in der Kantine und dem Verbot von Tabak und Alkohol engagieren. Mehrfach kam es deshalb unter der Belegschaft zu Aufständen. Auch an die amerikanische Lebensweise mit Square-Dance-Abenden, Gartenwettbewerben und Golfplätzen, konnten sich die Ureinwohner kaum gewöhnen. Das Alkoholverbot wurde später gänzlich ignoriert, überall schossen Bars und Bordelle aus dem Boden.
Ein Neuanfang
1930 folgte ein radikaler Neubeginn: Die meisten Arbeiter wurden nach den Aufständen entlassen, und durch neues Personal ersetzt, illegale Kneipen und Freudenhäuser wurden abgerissen, die Straßen frisch asphaltiert.
Alles schien diesmal zu funktionieren. Alles, bis auf den Anbau der Gummibäume. Ford, der nicht viel von Experten-Meinungen hielt, hatte die Pflanzen viel zu nahe beieinander setzen lassen, um den Ertrag auf der Fläche zu erhöhen. Mit dem dichten Blätterwerk entstand ein idealer Brutkasten für Raupen und Insekten, die die Plantage in kürzester Zeit vernichteten. Auch tonnenweise Insektizide brachten aufgrund der enormen Menge an Schädlingen keine Besserung. Binnen weniger Wochen waren die Plantagen zerstört. Kein einziges Mal konnten die Gummi-Bauern ihre Ernte einfahren. Hinzu kam, dass plötzlich synthetische Gummiprodukte den Markt überschwemmten.
Kapitulation
Als Fords Sohn 1945 die Geschäfte des Unternehmens übernahm, kümmerte er sich sofort um den Verkauf aller Besitzungen in Brasilien. Er hatte die Stadt, wie auch sein Vater, nie betreten. Mit dem Kaufpreis von 244.200 Dollar wurden die ausstehenden Lohnzahlungen der Arbeiter beglichen. Seitdem verfallen die Gebäude im Urwald und stehen als stumme Zeugen des Machbarkeitswahns der Industrialisierung.
Mehr über das Thema Fordlandia findet sich auch in der Mediathek des TV Senders Servus TV. Hier kann man sich den Beitrag aus der Reportage „Moderne Ruinen“ komplett anschauen: http://www.servustv.com/de/Medien/Moderne-Ruinen2
Quellen: http://www.spiegel.de/einestages/vergessene-orte-a-948720.html Christoph Gunkel, Bildquelle: Florian Pfeiffer. URL: http://www.gebrueder-beetz.de/produktionen/moderne-ruinen-fordlandia#bilder