Forever Young - Der Mercedes 190 "Baby Benz" wird im Dezember 35 Jahre alt
Veröffentlicht am 7.12.2017 von Dominik Noch keine Kommentare
Am 8. Dezember 1982 erweiterte Mercedes nach sechs Jahren Entwicklung sein Sortiment um eine neue Einstiegsdroge. Die kleine C-Klasse erhielt im Volksmund schnell den Namen "Baby Benz". Heute feiert die Baureihe seinen 35 Geburtstag.
Die Entwicklung einer günstigen Einstiegsklasse hatte sich Mercedes nicht einfach gemacht. Satte sechs Jahre nahmen sich die Ingenieure für die kleine Limousine Zeit, bei der in Puncto Verarbeitung, Sicherheit und Fahrdynamik keine Abstriche gemacht werden sollen. Doch weshalb musste die Palette eigentlich nach unten erweitert werden?

Die Entstehung des W201
Das Auto entstand einerseits aus der frühen Erkenntnis, das sich kompakte Mittelklässler bei der Konkurrenz von BMW, Opel und Ford sehr gut verkauften. Andererseits wegen den in Amerika unter Carter eingeführten Flottenverbräuchen, wodurch die Autobauer ihren kombinierten Verbrauch deutlich drücken mussten.
Zu Versuchszwecken entstand schon in den Enegiekrisen-gebeutelten 70er Jahren ein gekürzter /8 mit den kompakten Maßen des 190. Doch die Entwicklung eines kleinen Einstiegsmodells gestaltete sich aufgrund des prestigeträchtigen Images der Marke mit Stern als Wagnis.

Das Projekt des W201 war anfangs so geheim, dass die Testwagen im Verkehr und auf den Teststrecken unter dem Fantasienamen "Ushido" als asiatische Einheitsware getarnt wurden.

Motoren und Technik
Während die äußere Form hier stark an Mazda erinnert, ist der Motor des Prototyps (und später auch in der Serie) ein guter bekannter aus Stuttgart. Bei der Einstiegsmotorisierung mit zwei Litern handelt es sich um einen kastrierten 200er aus dem W123.
Mit Vergaser, Luftmangel und stark verringerten Steuerzeiten verliert der ohnehin nicht so elastische M102 ganze 20 PS. Kombiniert mit hohem Drehmoment und niedrigem Gewicht (1.1t) kommt der Basis-Baby von 1982 auf dennoch passable Fahrleistungen. Als Einspritzer mit 122 PS fällt die 100-KM/H-Marke hingegen bereits nach elf Sekunden - damals kein schlechter Wert in der Mittelklasse.

Wie beim Konkurrenten BMW konnte man die Kompaktlimousine je nach Häkchen in der Ausstattungsliste vom Nutz- zum Spaßfahrzeug umkonfigurieren:
Mit dem optionalen 260 Sechszylinder aus der S-Klasse (W126) wehte schon ein Hauch von Luxus im 190. Der längs eingebaute lange Reihenmotor nutzt jeden Zentimeter im Motorraum des 201. Mit dem Lebendgewicht des kompakten Viertürers hat der 160 PS starke Sechsender leichtes Spiel. Die meisten PS gab es allerdings mit zwei Zylindern weniger.

Schon ein Jahr nach der Einführung gibt es mit dem 190 E 2.3-16 einen 16-Ventiler (Foto) mit brachialen 185 PS, der 1988 vom 2.5-Liter mit 195 PS noch getoppt wird.
Die meisten Fahrzeuge laufen aber als Zweiliter vom Band, daneben sind auch die neu entwickelten extrem sparsamen Dieselmotoren beliebt, die dank Schaumstoff- und Blech-Kapselung sogar recht wenig nageln (man spricht vom "Flüsterdiesel" OM601). Bis auf den 2.5-Liter Turbo-Fünfzylinder (122 PS) gelten sie aber (und auch hier ist der 190er ein echter Mercedes) als absolut temperamentlos und zäh, wenn auch unzerstörbar.

Dazu kommt die neu entwickelte Raumlenker-Hinterachse mit jeweils fünf in verschiedenen Winkeln angeordneten Lenkern. Damit pflügt der 190er unbeeindruckt und ohne große spürbare Lastwechsel durch alle Kurven. Die Achse ist Grundlage aller weiteren Fahrwerksentwicklungen von Mercedes - bis heute.

Karosserie und Innenraum
Formal ist der W201 ein durch und durch echter Sacco: wie bei W124 und der damaligen S-Klasse ist das Design bestechend formal, zeitlos und elegant. Innen herrscht solider Funktionalismus. Bis auf das keck geschwungene Armaturenbrett wirkt das Interieur sachlich, wertig und reduziert. Nur die Beinfreiheit auf den hinteren Plätzen leidet.
Dafür steckt der ansonsten Elektronikarme W201 voll mit innovativen neuen Systemen, wie Gurtstraffer und ASD - der Airbag folgt erst später.
So viel Sicherheit und Entwicklung kostet: In der dünnsten Ausstattungslinie lag die Vergaser-Variante 1983 nur rund 280 DM niedriger als der größere W123 (der erst ein Jahr später vom W124 abgelöst werden sollte). Insgesamt war er aber mit einem Einstandspreis von 26.026,20 DM der günstigste aller Sternträger.
Auch heute noch ist der 190er die günstigste Art einen alten Mercedes zu fahren - nebenbei noch voll alltagstauglich. Das Blech ist robust und Fehlerquellen gibt es wenige. Der Spaß beginnt ab 2.000 Euro für Autos mit TÜV.

Weniger beliebt sind die Diesel, deutlich teurer wird es für die 16-Ventiler, die in gutem Zustand über der 10.000-Euro-Marke liegen. Der solide Zweiliter-Einspritzer ist die beste Wahl - selbst Top-Exemplare liegen unter 5.000 Euro. So ist das Auto heute wie damals perfekt für Einsteiger und Liebhaber ewig haltbarer Dauerläufer.