Probegefahren: Opel Diplomat V8 - Die Krone der Schöpfung
Veröffentlicht am 9.8.2016 von D. Helmling Noch keine Kommentare
Opels High-Class-Dreifaltigkeit hörte seit 1964 auf die magischen Buchstaben KAD - Kapitän, Admiral, Diplomat. Dabei war letzterer mit seidigem V8 und der Extraportion Prestige der dickste Hecht im Karpfenteich. Doch wie fährt sich das Dickschiff nach fast 50 Jahren?
Es ist das Millenniums-Jahr 2000 und der Sharp-Videorekorder sortiert gerade klappernd das Magnetband des jüngst auf VHS erschienenen Peter-Thorwarth-Streifens "Bang Boom Bang" hinter den Lesekopf. In den folgenden Minuten wird ein Grundstein meiner bis heute andauernden Oldtimer-Leidenschaft gelegt: Der froschgrüne Knudson-Taunus des Protagonisten "Keek" haut mich aus den Socken. Doch mein jugendliches Auge entdeckt in einer winzigen Szene einen weiteren Klassiker, der mir bis Dato unbekannt war: Der Opel Diplomat B von Keeks' Kumpel Andi, der für nur wenige Sekunden im Bild ist.
Primäres Lebensziel seit diesem Moment: eines der beiden Autos zu finden und fahren. Doch da manche Dinge ihre Zeit brauchen, dauerte es tatsächlich 16 Jahre, bis der Diplo in Natura vor mir steht und auf den magischen Schlüsseldreh wartet. Dafür aber gleich in der absoluten Endstufe mit V8 und 230 PS.
Schon von weitem sieht der ranghöchste Rüsselsheimer einfach zum anbeissen aus: außen schwarzes Vinyldach, auf sattem (Terragona?-)Rot (fast wie im Film), innen gibt's beige Plaste und plüschigen braunen Stoff, was so amerikanisch wirkt wie Maccaroni mit einem extraklecks Chesterschmelzkäsezubereitung.
Während die Karosserien von allen Varianten übrigens exakt gleich waren, hob sich der Diplomat auch optisch von seinen Brüdern Kapitän und Admiral ab. Beim großen Diplo stehen die Scheinwerfer nämlich mercedes-like senkrecht, während die kleineren Ausgaben der B-Serie über waagrecht liegende Leuchten verfügen. Als ehemaliger Strich-Acht-Fahrer gefällt mir die stehende natürlich Version besser.
Der gewaltige Grill verspricht indes nicht zu wenig: unter der Haube, mit deren Ausmaßen so manche Normgarage überfordert wäre, schlummert ein fetter V8 aus dem Hause Chevrolet, der mit anderen Zyinderköpfen so auch in der Corvette zu Einsatz kam. Im direkten Vergleich mit dem amerikanischen Rochen wirkt der Achtender im Opel aber unglaublich kultiviert. Wo die Corvette unruhig poltert, sprotzt und auf dicke Hose macht, läuft der Diplomat bescheiden und ruhig wie ein Sechszylinder - beeindruckend. Weniger standesgemäß wirkt da die Norm-Variante mit 2.8 Litern und sechs Brennkammern. Kein wunder, dass mehr als 11.000 Kunden ihr Häkchen bei der Variante mit der Extra-Portion Hubraum setzten.
Wer die schwere Fahrertür aufwuchtet und hinter dem dürren Lenkrad platzgenommen hat, den erwartet Amerika-pur. Vor dem Schalter der Hydramatic-Dreistufenautomatik gibt es Holzimitat-Folie und ein ganzes Battalion von Druckschaltern. Darunter auch die elektrischen Fenterheber, die ihren Dienst so geräuschlos verrichten, als sei der Opel gerade erst vom Band gelaufen - klarer Pluspunkt vor den labberigen Hebern der Stuttgarter Edelmarke. Ich lasse die Scheibe geräuschlos in ihren Schacht fallen, denn heute ist der Diplo auf jeden Fall ein Auto, bei dem der linke Ellenbogen während der Fahr außerhalb des Fahrzeugs gelagert werden muss. Der knapp fünf Meter lange automobilen Blauwahl lässt sich dank der guten Servolenkung auch mit zwei Fingern steuern. Dazu sinkt das Gesäß tief in die Federkern-Sitzen, die in ihrer Konsistenz einem Cheeseburger in nichts nachstehen.
Das Zündschloss liegt recht weit oben auf der Lenksäule aus beigem Plastik und lässt den Anlasser heiser husten. Nach wenigen singenden Umdrehungen nimmt der Motor pötternd und mit zaghaften Vibrationen geschmeidig seinen Dienst auf. Gas- und Bremspedal sind wahrlich riesig und auch mit Schuhgröße 40 nicht zu verfehlen. Nach wenigen Metern läuft der Motor rund und der Diplo giert nach Landstraßen.

Dabei macht er gegenüber seiner amerikanischen Vorbilder nicht nur auf gerader Strecke eine gute Figur: Dank DeDion-Hinterachse fühlt man sich auch beim Durchschaukeln enger Kurven sicher, auch wenn das hessische Prunkschiff extrem weich gefedert ist. Noch mehr begeistert allerdings der Vortrieb. Auch ohne das Gaspedal der greisen Oberklasse von einst ins Bodenblech zu stampfen, wird das beachtliche Drehmoment von über 400 Nm schon beim leichten Beschleunigen deutlich. Auch nach fast 50 Jahren kann man sich vom Diplo noch in den Sitz drücken lassen. Betonung auf "kann" - denn rasen und prollen passt so gar nicht zur gemütlichen Aura des Autos.
Für mich beweist der Diplomat B eindrücklich, dass Opel es in Sachen Oberklasse gut und gerne mit dem stuttgarter Stern aufnehmen konnte. Wo der Vorgänger (Diplomat A) noch etwas zu verspielt und anachronistisch war, wirkte die spätere Version innen wie außen aufgeräumt und modern. Motorleistung, Bremsen und Anmutung standen der Mercedes S-Klasse (w116) in nichts nach - auch preislich war man auf dem gleichen Niveau.
Weshalb Opel nach dem höchst erfolgreichen Debüt in der Oberklasse darauf verzichtete, gute Autos zu bauen und sich in den 90ern lieber das Image mit Möhren wie dem Astra nachhaltig verhagelte, erschließt sich mir nicht. Opel selbst spricht zwar bei Monza und Senator ebenfalls noch von Oberklasse, jedoch sehen hier viele keinen würdigen Nachfolger der KAD-Baureihe (obwohl die wenigstens noch irgendwie cool waren).
Nachdem ich meine ausgiebige Rundfahrt beendet habe, halte ich an der Tankstelle, dessen Pächter sich hinter der Kasse wahrscheinlich bereits die Hände reibt. Zwei Passanten geben mir den Daumen nach oben, während ich die Zapfpistole in die Klappe über dem Nummernschild manövriere. Ein jüngerer Herr im Anzug kommt hinzu und will alles über den ihm unbekannt Opel wissen, während Liter um Liter in den unerschöpflichen Tank fließt.

Die netten Reaktionen und das gute Fahrgefühl helfen auch beim Schmerz an der Zapfsäule: Denn durch den Rochester Quadrajet-Fallstromvergaser laufen gut und gerne 16-20 Liter (und mehr) auf 100 Kilometer. Trotz günstiger Benzinpreise nicht gerade billig - auch wenn es das Fahrgefühl natürlich allemal wert ist. Auch die Fahrzeuge selbst sind mittlerweile stark im Preis gestiegen. Für einen guten Diplomat V8 werden heute gut und gerne zwischen 15.000 und 20.000 Euro aufgerufen.
Doch es geht auch günstiger: Wer Lust bekommen hat, unser Fotomodell selbst zu fahren, kann dies im Oldtimer-Club Automobile Meilensteine in der Frankfurter Klassikstadt tun. Hier ist der Diplomat Poolfahrzeug im Car-Sharing-Programm mit Oldtimern. So wird der Diplo doch noch zum Vernunftauto.