Nur 20.000 Kilometer - Dieser Ford Taunus ist ein 38 Jahre alter Neuwagen
Veröffentlicht am 23.8.2016 von D. Helmling Noch keine Kommentare
Auch der Taunus der zweiten Generation ist mittlerweile rar gesät - gerade in der seltenen Kombi-Variante. Bei unserer Suche nach guten Exemplaren fanden wir bei den Inseraten den wohl besten Taunus Deutschlands - Mit 20.000 Kilometern auf der Uhr und einem Unterboden, von dem man essen könnte - höchste Zeit für einen Ortstermin.
Ein wackerer LexiCar-Reporter tritt an zum Turnier der besonderen Art: Nur wenig mehr als 22.000 Kilometer legte dieser Taunus MK II in den vergangenen 38 Jahren zurück - die letzten davon führten nach Steinau an der Straße, besser gesagt in den gut sortierten Oldtimer-Handel von Marcus Heurich. Womöglich hat sich der Händler mit dem ockergelben Mittelständler das beste noch vorhandene Exemplar gesichert, denn der Wagen ist nicht etwa für viel Geld restauriert, sondern ist ein echter "True Survivor", bei dem jedes Blech, Kabel oder Schräubchen noch genau so frisch wirkt wie anno 1978.
Ortstermin in Steinau: Die Sonne brennt auf den Parkplatz, zwei Handwerker malträtieren den Asphalt mit Presslufthammer. Daneben eine unscheinbare Industriehalle nebst Besitzer. Ein Handschlag und eine Schlüsselumdrehung am massiven Schloss später, stehen Interessent und Händler vor einem wahren Oldtimer-Paradies. Neben Mustangs und Heckflossen kauert der unscheinbare gelbe Taunus, der für mich der heimliche Star dieser Ausstellung ist, da ein Turnier in diesem Zustand wohl kaum noch zu finden ist. Schon von weitem weckt das nikotingelbe Kasten-Design irgendwie Erinnerungen an geflieste Partykeller und Handwerker mit einem knittrigem Softpack Lord-Zigaretten im Blaumann.
Originale Wachsmarkierungen und Ford-Pflaume an Wuchtgewichten
Doch dieser Taunus wirkt tatsächlich überhaupt nicht wie ein Gebrauchsgegenstand, eher wie ein 1:1 Modell von BBurago. Alle typischen Schwachstellen einer selbsttragenden Karosserie sind unglaublicherweise taufrisch. Der Ford überzeugt mit sauberen Türkanten und Falzen, einem neuwertigen Innenraum und einem Unterboden, den ich in der Form sonst nur von Neuwagen kenne. Selbst originale Werksmarkierungen mit Wachsstift (s. erstes Bild) sind noch erkennbar.
Während ich versuche meine Kinnlade wieder hochzuklappen, erfahre ich, dass der Wagen aus Südfrankreich stammt und dort bis 2013 im Erstbesitz war. Die originalen Schilder liegen noch bei. Respekt, ich habe bereits öfters Oldtimer aus Südfrankreich gesehen, aber der Vorbesitzer muss sich extrem gut mit dem Thema Konservierung auseinandergesetzt haben, wie der Wischwasserbehälter beweist. Sicherlich gehörten ägyptische Mumien und antike Grabbeigaben zu seinen Hobbies. Sicherlich aber nicht Autofahren, denn der Kombi wurde in all den Jahren nur etwa 600 Kilometer pro Jahr bewegt.
Auch in der Ausstattung ist der Taunus geradezu exzentrisch: Das typische Handwerker-Auto wurde ab Werk mit einer hellen(!) Innenausstattung geordert. Zum feinen GL-Mobiliar mit abschließbarem Handschuhfach, Leder und Sporträdern wählte der Vorbesitzer dann ausgerechnet den 1.3-Liter-Motörchen mit kargen 55 PS und sportlich-blauem Ventildeckel. Die Automatic wurde für diesen Typ gar nicht erst angeboten. Doch zur Ehrenrettung sei erwähnt, dass das Aggregat wegen des niedrigen Gewichts (1.1t) viel munterer ist, als erwartet.
Für den Spurt auf Tempo 100 braucht man trotzdem Geduld: 24,1 Sekunden vergehen bis zur magischen Grenze. Auch auffällig: Der Wagen riecht innen exakt nach nichts. Weder muffig, noch stoffig - einfach absolut neutral. Unerwartet.
Da der Taunus über kein Radio verfügt, ist quasi kein einziges elektronisches Bauteil an Bord. Somit stellt sich gar nicht erst die Frage nach dem richtigen Soundtrack für dieses Auto - ich schwanke zwischen Marius Müller Westernhagen und ... - nein, Westernhagen passt schon. Auf den Motorensound müssen wir allerdings Verzichten. Da der Zahnriemen und vor allem die Reifen genau so alt sind wie der Rest, möchte ich Herrn Heurich nicht zu einer Probefahrt nötigen.
Auf den rissigen Pneus findet sich auf den Wuchtgewichten übrigens noch die originale Ford-Pflaume. Somit steht der Wagen tatsächlich auf den originalen und fast 40 Jahre alten Werks-Gummis von Firestone.
Bleibt zum Schluss die Frage, für wen so ein Fahrzeug interessant ist - denn zum Fahren ist der Turnier eigentlich schon fast zu schade. Die FSP listet einen Note-1-Taunus-Turnier mit 9.200,- Euro. Für diesen hier wäre mit 19.000,- Euro etwa die doppelte Summe fällig. Angesichts der schwierigen Verfügbarkeit und des absolut einzigartigen Neuwagen-Zustandes scheint mir die Summe gerechtfertigt - in dieser "MINT-Condition" sollte es europaweit wohl kein zweites Exemplar geben. Das macht den Wagen natürlich eher für Sammler und Museen, als für private Liebhaber interessant. Doch damit kann Händler Heurich gut leben - er hat ein Herz für den Underdog und freut sich über jeden Tag, in dem der rare Kölner noch in seiner Halle steht.
Das Inserat findet sich beispielsweise im Classic & Sportscar Market, oder auf der Website von Heurich Classics.
Fakten zum Taunus MK II
Der Taunus MK II löste ab Januar 1976 den besser bekannten "Knudsen"-Taunus mit der charakteristischen Nase im Kühlergrill ab. Auch ansonten hatten die Designer Tom Tjaarda und Uwe Bahnsen dem deutschen Muscle-Car deutlich die Falten aus dem Kleid gebügelt, frei nach Loriot könnte man sagen "Früher war mehr Lametta".
Trotzdem bleibt der Taunus ein Typ mit Ecken und Kanten: Mit Hilfe eines Geo-Dreiecks könnte wohl auch ein vierjähriges Kind ein respektables und wiedererkennbares Abbild der Kölner Kante zeichnen.

Das Grundkonzept mit langem Vorderwagen und kurzem Heck blieb dabei nach wie vor bestehen. Wer wollte, konnte seinem Wagen für DM 325,- sogar noch ein schnittiges schwarzes Vinyldach für die Cabrio-Optik verpassen. Im kollektiven Gedächtnis sind Granada MK II und Sierra trotzdem deutlich besser verhaftet, als der kleinere Taunus.
Oft wurden die Autos, allen voran die Kombis, gnadenlos durchgerockt und weitergereicht. Meist hieß die letzte Station mit Zement-Schwellern und abgefressenen Radläufen dann Bosporus, wo noch heute einige Taunusse im Einsatz sind.

Ford-Typisch deckte das Modell durch breit gefächerte Variationsmöglichkeiten bei Motoren und Ausstattungen jede Spurbreite von Geldbeuteln ab. Wer es nicht so dicke hatte, nahm den 1.3-Liter Basis-Taunus mit zwei Türen für DM 10.945,-. Für vier- bis sechstausend Scheine mehr gab's die Ghia-Ausstattung mit dickem 1.6-Liter-Motor, oder der Sportvariante Taunus S mit Sechszylinder und immerhin 90 PS.
Der Markt an guten Gebrauchtfahrzeugen ist bereits seit vielen Jahren sehr überschaubar. Für Ersatzteile sorgen seit dem Grobrand im Ford-Ersatzteile-Lager vor allem Clubs und Spezialisten, wie http://www.motomobil.com.